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01.06.2022 | ARBEITSSCHUTZ & ARBEITSSICHERHEIT

Kommt es im Betrieb zu einem Brand, einem Anschlag oder einem anderen psychisch belastenden Ereignis, steht meist die körperliche Erste Hilfe an erster Stelle. Allerdings können solche Erfahrungen auch zu psychischen Traumata oder anderen Belastungen führen. Daher sollten sich Arbeitgeber und Ersthelfer im Betrieb vorab über psychische Erste Hilfe informieren, um im Notfall sofort entsprechende Hilfsmaßnahmen ergreifen zu können.

Psychische Erste Hilfe Forum Verlag Herkert GmbH

Als psychische Erste Hilfe reicht häufig bereits das Zuhören und Aufmerksamkeitschenken. Kommt es am Arbeitsplatz zu einem belastenden Ereignis, können Ersthelfer und Kollegen die betroffene Person so unterstüzen. (Bild: © Chanintorn.v – stock.adobe.com)

Inhaltsverzeichnis

  1. Definition: Was ist psychische Erste Hilfe?
  2. Wann ist psychische Erste Hilfe notwendig?
  3. Was könnten Maßnahmen sein, um psychische Erste Hilfe zu leisten?
  4. Was sind die Grenzen von Psychischer Erster Hilfe am Arbeitsplatz?

Definition: Was ist psychische Erste Hilfe?

Der Begriff psychische bzw. psychologische Erste Hilfe umfasst alle Maßnahmen, um Betroffene eines traumatischen Ereignisses unmittelbar nach dem Erlebnis psychisch zu entlasten. Sie kommt sowohl im privaten als auch im beruflichen Umfeld zum Einsatz. Daher sollte im Idealfall z. B. in jedem Kriseninterventionsteam ein Psychologe anwesend sein. Außerdem kann sie sowohl Kindern als auch Erwachsenen helfen. Bei Ereignissen am Arbeitsplatz muss der Arbeitgeber dafür sorgen, solch traumatische Erlebnisse bereits im Vorfeld zu vermeiden. Kommt es dennoch zu einem Vorfall, muss er die Folgen für die betroffenen Beschäftigten so gering wie möglich halten.

Da alle Menschen auf belastende Situationen unterschiedlich reagieren, zeichnet sich psychische Erste Hilfe oft schon dadurch aus, Zuwendung zu zeigen, Anteilnahme zu vermitteln und den Betroffenen zuzuhören. Welche Bereiche zur psychischen Ersten Hilfe gehören, fasst u. a. die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einem entsprechenden Handbuch zusammen.

Demnach beinhaltet der Begriff folgende Bestandteile:

Was gehört zu psychischer Ersten Hilfe? Was gehört nicht zu psychischer Ersten Hilfe?
  • Sie kann auch von nicht ausgebildeten Ersthelfern oder Seelsorgern praktiziert werden.
  • Praktische Hilfe und Unterstützung anbieten, ohne aufdringlich zu sein.
  • Zuhören, ohne die Betroffenen zum Reden zu zwingen.
  • Trösten und versuchen zu beruhigen.
  • Wünsche und Anliegen der Betroffenen einordnen.
  • Grundlegende Bedürfnisse erfüllen (z. B. Nahrung, Wasser, Information).
  • Betreuung und soziale Unterstützung organisieren.
  • Vor weiterem Schaden schützen.
  • Sie stellt keine fachliche Beratung oder Therapie mit einem Psychologen dar.
  • Die Betroffenen müssen nicht zwingend über das traumatische Ereignis sprechen, auch nonverbale Unterstützung kann helfen.
  • Sie eignet sich nicht zur Langzeitgenesung, sondern dient der akuten Unterstützung unmittelbar nach dem belastenden Ereignis (bis zu 48 Stunden).

 

Neben dem o.g. Handbuch der WHO wird das Thema auch von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) behandelt. Sie erläutert u. a. in der DGUV Information 206-023 Standards zur betrieblichen psychologischen Erstbetreuung (bpE) bei traumatischen Ereignissen. Dort sind u. a. Kriterien aufgelistet, die aufzeigen, wann psychische Erste Hilfe erforderlich sein kann.

Wann ist psychische Erste Hilfe notwendig?

Die DGUV definiert, dass psychologische Ersthilfe immer dann erforderlich ist, wenn ein Ereignis nach wissenschaftlichem Erkenntnisstand mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu psychischen Gesundheitsbeeinträchtigungen bei den Betroffenen führt.

Typische traumatische Ereignisse können sein:

  • Bedrohung des eigenen Lebens oder der körperlichen bzw. psychischen Unversehrtheit
  • eigene schwere körperliche Verletzungen
  • direkter Kontakt mit Schwerverletzten, Sterbenden oder Toten (auch Sichtkontakt)
  • Beobachtung von Gewalt gegenüber nahestehenden Personen
  • gewaltsamer oder plötzlicher Verlust nahestehender Personen (z. B. unmittelbare Kollegen)

In diesen Fällen kann eine psychologische Erste Hilfe den Betroffenen dabei helfen, die Situation vor Ort zu verarbeiten. Meist zeigen die Personen unterschiedliche Verhaltensweisen: von erstarrt sein und Teilnahmslosigkeit über Unruhe oder Hyperaktivität bis hin zu Aggressivität oder Weinen. Hier kann die psychische Erste Hilfe ansetzen, indem die Ersthelfenden Teilnahme zeigen und ein offenes Ohr bieten.

Doch nicht nur, wenn es bereits zu einem belastenden Erlebnis kommt, sollten sich Arbeitgeber mit der mentalen Gesundheit ihrer Beschäftigten auseinandersetzen. Vielmehr müssen sie sich im Rahmen ihrer Sorgfaltspflicht generell um das seelische Wohl ihrer Angestellten kümmern. Arbeitgeber sind nach § 5 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) sogar dazu verpflichtet, im Rahmen ihrer Gefährdungsbeurteilung psychische Belastungen am Arbeitsplatz zu ermitteln, zu beurteilen und daraus Maßnahmen abzuleiten. Wer durch Stress in der Arbeit oder andere tätigkeitsbezogene Faktoren mental instabil ist, neigt dazu, bei traumatischen Ereignissen stärkere seelische Schäden davonzutragen. Um dieses Risiko möglichst weit zu reduzieren, sollten sich Arbeitgeber bereits vorab mit der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz auseinandersetzen.

 

Was könnten Maßnahmen sein, um psychische Erste Hilfe zu leisten?

Generell kann psychische Erste Hilfe am Arbeitsplatz auf zwei Wegen erfolgen:

  • durch speziell ausgebildete Beschäftigte innerhalb des Betriebs (interne Erstbetreuung)
  • durch einen betriebsfremden Dienstleister (externe Erstbetreuung)

Je nachdem, wer für die psychologische Erstbetreuung zuständig ist, können insbesondere folgende Aufgaben auf sie zukommen:

  • Möglichst am Ereignisort Kontakt mit der betroffenen Person aufnehmen.
  • Prüfen, wie handlungsfähig die Person ist.
  • Akute Bedürfnisse und Sorgen in Erfahrung bringen.
  • Ggf. ärztliche und/oder psychotherapeutische Soforthilfe organisieren.
  • Gemeinsam den unmittelbaren Ort des Geschehens verlassen und vor äußeren Einflüssen wie Passanten, Medien oder anderen Kollegen schützen.
  • Gemeinsam eine sichere Umgebung aufsuchen.
  • Emotionale Unterstützung bieten, z. B. durch beruhigen, zuhören, reden.
  • Betroffene Person an Familie/Bekannte/Bezugspersonen übergeben.
  • Kontakt zu weiteren psychosozialen Angeboten aufbauen.

Psychische Erste Hilfe: 4-S Regel

Eine ebenfalls häufig angewandte Methode zur psychischen Ersten Hilfe ist sog. „4-S Regel“. Sie gilt als eine Art Leitfaden und beschreibt die wichtigsten Schritte zur psychischen Betreuung von Notfallpatienten.

Meist ist die 4-S Regel wie folgt aufgebaut:

Sagen Sie, dass Sie da sind und dass etwas geschieht.
Sprechen Sie mit der Person und hören Sie aktiv zu.
Suchen Sie vorsichtig Körperkontakt.

Schirme Sie das Opfer vor Passanten und anderen Störquellen ab.

 

Für den Einsatz der o. g. Maßnahmen bedarf es jedoch einiger organisatorischer Rahmenbedingungen. Für die Einrichtung dieser Bedingungen ist der Arbeitgeber zuständig. So ist z. B. jeder Arbeitgeber dazu verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung zu erstellen. Dort muss er u. a. mögliche traumatische Ereignisse berücksichtigen. Ergeben sich daraus Gefährdungen für die Beschäftigten, muss der Verantwortliche passende Schutzmaßnahmen treffen. Sie sollen nicht nur verhindern, dass es zu traumatischen Ereignissen für die Mitarbeitenden kommt. Das Schutzkonzept muss auch festlegen, wie im Fall eines solchen Ereignisses vorgegangen wird.

Ein wichtiger Faktor für die Verarbeitung solcher Ereignisse ist die mentale Gesundheit der Betroffenen. Probleme wie Stress in der Arbeit können dafür sorgen, dass Beschäftigte anfälliger dafür werden, mit Extremereignissen schlechter zurechtzukommen. Daher sollten Arbeitgeber regelmäßig prüfen, wie es um die seelische Gesundheit ihrer Angestellten steht. Auch hierfür kann eine entsprechende Gefährdungsbeurteilung herangezogen werden. 

Veranstaltungsempfehlung

Wie Arbeitgeber eine solche Beurteilung für ihr Unternehmen erstellen, zeigt das Online-Seminar „Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen“.

 

Doch selbst mit der besten Vorbereitung kann es passieren, dass die psychische Ersthilfe nicht ausreicht, damit eine beschäftigte Person ein belastendes Ereignis ausreichend verarbeiten kann.

Was sind die Grenzen von Psychischer Erster Hilfe am Arbeitsplatz?

Jede traumatische Situation prägt Menschen unterschiedlich und genauso können alle unterschiedlich effektiv mit der Bewältigung umgehen. Haben Ersthelfer z. B. den Eindruck, dass sie einem Betroffenen psychisch nicht weiterhelfen können, sollten sie professionell ausgebildetes, medizinisches Personal hinzuziehen. Das können z. B. Mitarbeitende der Seelsorge sein, Psychologen oder psychosoziale Zentren. 

Unter welchen Umständen auch die psychische Ersthilfe an ihre Grenzen stößt und weiterführende Hilfe eingeschaltet werden muss, zeigt die WHO in ihrem Handbuch. Dort definiert sie, dass insbesondere folgende Personen unmittelbar professionelle Hilfe benötigen:

  • Beschäftigte mit ernsthaften Verletzungen, die medizinisch versorgt werden müssen.
  • Mitarbeitende, die sich selbst oder andere gefährden.
  • Angestellte, die derart außer/neben sich sind, dass sie für sich (und ggf. ihre Kinder) nicht mehr sorgen können.

Auch speziell ausgebildete Beschäftigte in betrieblich psychologischer Erstbetreuung o. Ä. können u. U. nur begrenzt Hilfestellung geben. Im Zweifelsfall sollte daher immer eine medizinische und/oder psychotherapeutische Fachkraft hinzugezogen werden.

Augsburg, 01.06.2022
Online-Redaktion AKADEMIE HERKERT

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